Dass der Reifen nicht erst seit gestern als das „neue schwarze Gold“ betitelt wird, hat einen guten Grund. Denn in der Automobilbranche hat vor allem ein Sprichwort des Heraklit von Ephesus eine konstante Bedeutung: „Nichts ist so beständig wie der Wandel.“
Neue Antriebstechnologien und damit langfristig weniger Öl im Fahrzeug und damit auch in der Werkstatt sowie neue Technologien in Fahrzeugen, die dazu führen, dass man Schraubenschlüssel, Hammer und Co. gegen Laptop und Diagnosegerät tauschen muss – aber eines bleibt, zumindest auf lange Sicht, als Konstante in der Werkstatt: der Reifen. „Solange wir nicht wie in Science-Fiction-Filmen herumfliegen oder uns teleportieren können, wird der Reifen immer das Bindeglied zwischen Fahrzeug und Straße sein“, weiß auch Unternehmensberater Dieter Kornfehl von K & P Beratung. Und allein aus diesem Grund ist der Reifen ein hervorragendes Werkzeug zur Kundenbindung und vor allem auch Ertragssteigerung. Denn der schwarze Gummi bietet noch zahlreiche Zusatzertragsquellen. „Das beginnt beim Reifenservice, der Reifen- und Felgenreparatur und geht hin bis zur Aus- und Einlagerung der Pneus zur Winter- und Sommerreifen-Wechsel-Saison“, zählt Kornfehl einen Teil der Möglichkeiten rund um den Reifen auf.
Die Bedeutung der vier Pneus zeigt sich auch in der Entwicklung in Sachen Geschäftsfelder. „Ein namhafter deutscher Hersteller hat den Reifen ganz klar als Business Case erkannt und hat in seine Fahrzeuge nun ein neues Reifenservice-Intervall integriert. Das heißt, das Fahrzeug erkennt anhand der RDKS-Sensoren und eines bestimmten Reifenkatalogs die Abnutzung des Reifens sowie den Zustand bzw. die Qualität derselbigen. Das allein zeigt schon, dass der Reifen ein Business Case der Zukunft ist, sonst würde dieser OEM nicht so viel hinein investieren“, erklärt Kornfehl und ist sich sicher, dass weitere Hersteller auf diesen Zug aufspringen werden. Nicht zuletzt rücken die Pneus auch mit dem Elektrofahrzeug wieder stärker in den Mittelpunkt: Der Verschleiß ist aufgrund des Akkugewichts und des Drehmoments höher als bei einem vergleichbaren Verbrenner und zudem ist der Rollwiderstand wegen der Reichweite wichtig.
Der Mensch macht’s
Wer sich mit Reifen intensiver beschäftigen will, der stößt zwangsläufig auf eine Vielzahl an Chancen, aber auch Problemen. Die Zusatzverkäufe rund um den Reifen kann man nur realisieren, wenn der Serviceberater auch daran denkt. Hier sieht Kornfehl massiven Nachholbedarf: „Wir sehen das immer wieder in der Beratung. Es kann nur etwas verkauft werden, was auch angeboten wird. Die Kundendienstberater denken aber oftmals gar nicht daran oder haben schlichtweg nicht die Zeit, dem Kunden entsprechende Produkte anzubieten.“
Oftmals scheitert es aber auch am Kenntnisstand des Mitarbeiters, weil die Daten zum Fahrzeug oder den Reifen nicht vorliegen. „Man kann dem KDB keinen Vorwurf machen, dass er einem Kunden keinen neuen Sommerreifen anbietet, wenn er gar nicht weiß, dass die Mindestprofiltiefe fast am Ende ist. Hier braucht es eine gute Datenerfassung und -verarbeitung“, meint Kornfehl. Daher ist es unumgänglich, wenn man bereits ein Depot für Reifen hat, dass man auch die Daten der eingelagerten Reifen erfasst und entsprechend vor dem Wechseltermin eine Info an den Berater schickt. „Dabei helfen bereits jetzt gute Systeme, die unter anderem auch mit Künstlicher Intelligenz unterfüttert sind.“
Der Faktor Zeit ist oft ein großes Problem. Länger als eine Stunde ist man selten in einem Autohaus, falls man die Wartezeit überhaupt dort verbringt. „Sobald ein Kunde sich dafür entscheidet, auf den Wechsel im Autohaus zu warten, ist der Verkäufer gefordert. Aber auch der Hinweis auf Klassiker wie Klimaservice, Klimareinigung oder andere Themen kann man da schon unterbringen“, so der Berater, der aber auch auf einen wesentlich einfacheren Schritt hinweist: „Es reicht schon, wenn der Kunde bei seinem Aufenthalt ein gutes Gefühl hat und sich umsorgt fühlt. Man bietet Getränke oder Kaffee an. Einen gemütlichen Ort, wo er warten kann. Dann verlässt er das Autohaus zumindest mit einem positiven Gefühl und kommt gerne wieder.“ Für Kornfehl ist die Arbeit mit dem Reifen und der damit verbundenen mindestens zweimaligen Präsenz des Kunden pro Jahr im Autohaus der größte Benefit: „Stammkunden sichern mein Autohaus ab. Dementsprechend muss ich mit ihnen umgehen.“
Bedeutung des Reifens steigt
„Wir sehen schon, dass die Bedeutung des Reifens nun stärker erkannt wird, dass in neuen Autohäusern oder bei Umbauten dem Thema mehr Platz eingeräumt wird“, berichtet Automotive Business Coach Dipl.-Wirtsch.Ing. Florian Kunert. „Auch bei den Abläufen sehen wir eine Verbesserung. Und nicht zuletzt spielt der Reifen ertragsseitig eine wachsende Rolle.“ Das Potenzial ist allerdings noch immer sehr groß. „Der Kunde ist zwar gegenüber dem Autohaus treu, was den Service betrifft. Sieht man sich aber an, wie viele dieser Kunden auch für §57a, Scheibenreparatur oder Reifenwechsel kommen, ist die Loyalität deutlich niedriger“, so Kunert. „In den vergangenen Jahren wurde das als Luxusproblem gesehen, weil man in der Werkstätte ja ohnehin voll war.“ Das ändert sich nun langsam, da das Neuwagen-Zulassungsloch und die Elektromobilität langsam, aber stetig an der Auslastung und an den Werkstatt-Erträgen knabbern. Mit dem Reifen kann man hier entgegenwirken, so wie Kornfehl ist auch Kunert überzeugt: Hat man den Kunden einmal im Haus, kann man auch über andere Themen rund ums Auto mit ihm reden. Beispiele dazu nennt auch Florian Andrä von Würth auf Seite 84 dieser Ausgabe.
Die Umsetzung dieser Tätigkeiten kann und muss nicht immer gleich passieren, entscheidend ist das Wissen über den Zustand des Fahrzeuges und die entsprechende Speicherung. „Selbst zur stressigen Reifenzeit sollten wir mit dem Kunden zum Auto gehen und das saisonale Angebot wie Frühjahrs- oder Wintercheck besprechen“, so Kunert. Besonders wertvoll ist die Möglichkeit, den Kunden überhaupt im Haus zu haben, für die weitere Kundenbindung für das nächste Auto oder den nächsten Werkstatt-Besuch. „Selbst wenn die Kunden abspringen möchten, etwa traditionell wenn die Garantie ausläuft, kann man ihn beim Reifenbesuch darauf ansprechen und Lösungen anbieten“, empfiehlt Kunert.
Prozesse und Partnerschaften sind entscheidend
Wie unter anderem auch von Continental Reifen (auf Seite 86) und von Robert Merz (KFZ Rockstars auf Seite 60) angesprochen, ist das Reifengeschäft ein Prozessthema, an dem sich viele im Betrieb beteiligen müssen. „Wir schaffen es oft nicht, dem Mitarbeiter zu erklären, was der Mehrwert ist. Hier hilft es, das Team mit einem geschickten Entlohnungssystem am zusätzlichen Erfolg zu beteiligen“, schlägt Kunert vor.
Dabei sieht der Experte keinen Konkurrenzkampf zu den Reifenspezialisten, vielmehr gäbe es noch Kooperationsmöglichkeiten. Entweder über Betriebe in der Region oder über die Nutzung von Netzwerken, wie etwa die Firma Lehr in Horn, die seit einiger Zeit point-S Partner ist und sich mit www.reifen-horn.at nicht nur als kompetenter Reifenpartner, sondern auch als freie Werkstätte positioniert.
Das Mehrmarken-Autohaus als freier Reifenspezialist
„Unser Depot ist aus allen Nähten geplatzt, wir wollten investieren, das Reifen-Geschäft professioneller gestalten, Erträge erwirtschaften und die Kundenbindung stärken“, erinnert sich Franz Bayer, MBA, Leiter After Sales im Autohaus Lehr in Horn. So ist man auf point-S gekommen und hat– im Stammhaus, aber mit eigenem Portal – www.reifen-horn.at als eigenen Reifenbereich aufgebaut. „Es war schon bald klar, dass wir hier auf den richtigen Partner gesetzt haben. Da ist zum einen der Reifenbezug und zum anderen der Zugang zum Flottengeschäft“, so Bayer.
Die Möglichkeit zur Abrechnung mit diversen Leasingfirmen im Reifenbereich hat auch zu Türen zur Zusammenarbeit etwa im Lack- und Karosserie-Bereich geführt. „Wenn Kunde und Leasingfirma zufrieden sind, kann man die Zusammenarbeit über den Reifen hinaus erweitern“, so Bayer. „Der Fahrzeugnutzer hat damit nur einen Termin, das wird geschätzt. Alles aus einer Hand ist ein klarer Kundenwunsch.“
Im Privatkundenbereich spricht man mit dem point-S-Auftritt auch Kunden anderer Marken sowie Besitzer älterer Fahrzeuge an, die sonst vermutlich nicht ins Markenautohaus gekommen wären. „Wir können auch als freie Werkstätten mit attraktiven Zeitwertreparaturen Angebote für diese Kundengruppe erstellen.“ Umgesetzt wird das mit einem eigenen Team in der Reifen-Horn-Werkstatt. „Mit insgesamt 15 produktiven Mitarbeitern in der Werkstätte können die Aufgaben je nach Komplexität und Aufwand gut verteilt werden“, so Bayer.
„Der Räderwechsel ist für uns ein sehr wichtiges Kundenbindungsinstrument, da wir den Kunden zweimal im Jahr sehen“, berichtet Bayer. „Wir wollen den Kunden nicht an eine freie Werkstätte verlieren, sondern ihn so lange betreuen, bis er wieder – bei uns – auf ein neues Auto wechselt.“ Im Gegensatz zu Wartung und Reparatur, wo der Kunde das Fahrzeug nur abgibt und später wieder holt, verbringt er die Wartezeit des Reifenwechsels oft im Autohaus, geht durch den Schauraum und besucht „seinen“ Verkäufer.
Die Nutzung eines Netzwerkes allein ist freilich noch nicht genug. Die Basis für den Erfolg ist die Investition in Infrastruktur und Prozesse. So hat das Autohaus Lehr in ein modernes Reifenhotel investiert, das viele Pneus einfach, rasch und mitarbeiterschonend lagern kann. Dabei ist neben Platz und Handhabung auch die Flexibilität wichtig: „Die Reifengrößen ändern sich, da muss man das Lager umbauen können.“ Bei den Prozessen wurde einiges ausprobiert, bis der (für diesen Betrieb) ideale Ablauf gefunden wurde. „Es ist alles genau organisiert und digitalisiert, alle Mitarbeiter, auch die Verkäufer, sind involviert. Beim Wechsel bereitet der Lagermitarbeiter die Kundenreifen zeitgerecht in der Abholzone vor, von dort holt der Techniker die Reifen ab und bringt nach dem Wechsel den anderen Reifensatz samt Etikette mit Profiltiefe und Locator zum Waschen. Danach geht es wieder ins Hotel“, beschreibt Bayer den Ablauf. „Wichtig ist, dass der Kunde ein oder zwei Tage vorher einen Termin vereinbart, spontan funktioniert das nicht.“
Nicht zuletzt beschäftigt Bayer auch die Ertragsthematik: „Der Reifen ist das neue Öl. Während wir durch die Elektro-mobilität manche Erträge verlieren, gewinnt der Reifen bei den E-Autos an Bedeutung.“