KLART€XT: Sie haben durch Ihre Lehr- und Beratungstätigkeit einen guten Einblick in die wirtschaftliche Situation der österreichischen Kfz-Betriebe. Also: Wie ist die Lage?
Prof. (FH) DDr. Mario Situm: Ich beobachte die Branche schon länger, schon seit ich als Betreuer bei einer Bank tätig war, und sehe derzeit ein schwieriges Umfeld durch gravierende Marktveränderungen – zum Beispiel durch die Antriebswende, aber auch andere Faktoren. Die Branche verdient nicht mehr so wahnsinnig viel mit Autoverkauf. Nach wie vor Geld verdienen lässt sich mit der Reparatur oder dem Verkauf von Zusatzleistungen. Oft lohnen sich Kleinigkeiten von der Waschanlage bis zu E-Ladestationen. Das heißt für den Unternehmer: Es wird immer wichtiger, sich die Frage zu stellen, mit welchen Leistungen man sich vom Mitbewerb abheben kann. Wer bin ich, wofür steht meine eigene Marke? Was ist mein USP, mein Alleinstellungsmerkmal?
Wirtschaften große Betriebe besser als kleine?
Situm: Betriebe im Konzernverbund bzw. Markenbetriebe haben den Vorteil, dass sie von den Herstellern bzw. Importeuren transparente Zahlen und monatliche Controlling-Auszüge bekommen. Man muss die Zahlen aber auch lesen können. Eigenständige, kleine Unternehmen haben es schwieriger, nicht nur wegen der Datenlage, sondern auch wegen der Ressourcen im Betrieb, die ein Controlling eben braucht. Und die Kleinen sind anfälliger für Krisen. Zu dem Thema gibt es einige Studien: Wenn du eine gewisse Größe nicht hast, wird es in Krisen oft schwierig. Familienbetriebe retten sich oft mit der „Gratisarbeitskraft“ der Familienmitglieder. Da spricht man sogar von einem „vorweggenommenen Erbe“.
Wie erkenne ich überhaupt, welche Bereiche im Betrieb Erträge bringen?
Situm: Die erste Bestandsaufnahme umfasst die letzten 3 Bilanzen mit Gewinn- und Verlustrechnung, aber auch Faktoren wie die Eigenkapitalquote. Diese rückblickenden Zahlen sind wichtig, für die Bank machen sie etwa 70 Prozent des Ratings aus. Natürlich schaut man auch, wie es mit der Profitabilität ausschaut. Und man nimmt ein Benchmarking vor, vergleicht also den Betrieb mit dem Branchendurchschnitt, um ein Gefühl für die Situation des Betriebs zu bekommen. Schon dieser Überblick fehlt meiner Erfahrung nach bei vielen Kfz-Unternehmen: Die sind im operativen Geschäft gut, aber bei der Interpretation der oben genannten Zahlen wird recht „herumgewurstelt“. Die Unternehmer wissen nicht, wo der Profit herkommt, und das ist schon eine entscheidende Frage. Dazu brauche ich Kostenrechnung bzw. Controlling.
Braucht dazu dann auch der kleine Betrieb einen Controller in der Firma?
Situm: Nun ja, es geht auch einfacher. Beginnen Sie einmal damit, Kostenstellen zu definieren, um zu wissen: Wo fallen welche Kosten bzw. Aufwände an, um kalkulieren zu können, wie viel damit verdient wird. Ich sehe oft eine Art Blindflug bei der Frage, welche Stundensätze überhaupt verlangt werden können. Die setzen sich aus Erfahrungswerten mit ein bisschen Mitbewerberbeobachtung zusammen – ohne zu wissen, ob der Preis dann auch die Kosten deckt. Die Einzelkosten haben die meisten noch im Blick, also: Was kostet das Ersatzteil? Aber ich sehe in der Praxis oft, dass viele nicht wissen, wie sie die im Betrieb anfallenden Gemeinkosten – beispielsweise Stromverbrauch – auf die einzelnen Kostenstellen umlegen sollen. Viele schlagen einfach pauschal 20 Prozent Gemeinkosten auf, ohne zu wissen, ob das stimmt. Wenn diese Rechnungen Schwierigkeiten bereiten, sollte man sich für ein paar Stunden einen Experten ins Unternehmen holen. Und wenn die Analysen einmal sauber eingeführt sind, hat man schonmal ein Gefühl, und dann kann ich als Unternehmer diese Zahlen einmal im Monat überprüfen. In den gängigen Buchhaltungsprogrammen sind auch relativ gute Kostenrechnungsmodule enthalten. Klar ist ein Implementierungsaufwand da, aber ab dann ist es eigentlich recht einfach. Plötzlich weiß ich, ob ich für meine Leistungen einen Preis verlange, an dem ich etwas verdiene. Ich sehe leider viele Unternehmer, die meinen, dafür keine Zeit zu haben, teilweise fehlt halt auch das Know-how. Dafür kümmert man sich, salopp gesagt, um jede Menge anderen Blödsinn.
Was mache ich als Unternehmer mit Bereichen, die nicht so ertragreich sind oder sogar Verluste einfahren?
Situm: Zuerst müssen Sie die Ursache finden, warum das so ist. Kosten könnten hier ein Thema sein, dann wäre Cost Cutting eine erste Maßnahme. Möglicherweise können Sie die Prozesse in der Werkstätte verbessern, oft wird auch ein Bereich ausgelagert – etwa die Lackiererei, das wird oft gemacht.
Haben Sie weitere „Good- und Bad-Practice-Beispiele“ für das Finanzgebaren in den Unternehmen?
Situm: Es gibt viele Beispiele auch für kleine Betriebe, die eine gute Kostendurchleuchtung eingeführt haben. Ich kenne ein Unternehmen in Kärnten, die haben alles komplett auf den Kopf gestellt, dort war Energie das Hauptthema. Gerade bei hohen Energiekosten kann man etwas tun, eventuell durch Investments, die sich dann schnell amortisieren. Aber auch an „Bad-Practice-Beispielen“ ist kein Mangel. Die Kostenstruktur einfach zu ignorieren, ist so ein Fehler. Manche verlangen gar nichts für manche Leistungen, die durchaus zu verrechnen wären, oder bedienen Freunde kostenlos. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie wenig Kostensensibilität vorhanden ist. Man muss bedenken: Kleinvieh macht auch Mist! Natürlich betrifft das nicht nur Kfz-Betriebe. Gerade familiengeführte Betriebe sind im Sinne der Betriebswirtschaftslehre oft gar keine echten Betriebe.
Wie ist das zu verstehen?
Situm: Familienbetriebe werden in der Beratung mit einem „Dreikreisemodell“ dargestellt, das die Beziehung zwischen Unternehmen, Familie und Eigentum berücksichtigt. In Familienbetrieben werden viele Dinge, die nach BWL-Regeln logisch wären, nicht umgesetzt, weil Auswirkungen auf die Familie befürchtet werden: Der Sohn arbeitet zwar nicht mit, wird aber trotzdem bezahlt, es werden Entnahmen für private Handys getätigt usw. Natürlich ist da jeder Betrieb unterschiedlich, aber auch im Familienbetrieb muss Profitabilität herrschen, um dauerhaft bestehen zu können.
Welche konkreten Herausforderungen bietet der aktuelle Kfz-Markt in puncto Ertragssicherung?
Situm: Da ist einmal sicherlich der Preisdruck von allen Seiten. Im Kfz-Segment sehen wir schon länger, dass die Produzenten sebst verkaufen wollen, Händlerverträge werden gekündigt, da bewegen sich die Unternehmen auf unsicherem Terrain. Dann der Personalmangel, der durch fehlendes Employer Branding noch verschärft wird. „Ich zahle, also schaffe ich an“, diese Zeiten sind vorbei. Heute wollen Mitarbeiter mit einbezogen werden, gerade die jüngere Generation. Dann sind Betriebe unterschiedlich gut auf E-Mobilität vorbereitet, die sich durchzusetzen scheint und die Investments nicht zuletzt in Schulungen, aber auch in der Technik erfordert.
Handlungsansätze sehe ich unter anderem im Punkt der Digitalisierung. In vielen Betrieben ist diese nicht sehr weit fortgeschritten, viele scheuen sich nach wie vor, digitale Terminvereinbarungen oder digitale Annahme umzusetzen. Eine Erhebung hat ergeben, dass 44 Prozent der Unternehmen unter 50 Mitarbeitern über keinerlei System für Custome--Relationship-Management verfügen. Auch wird es ohne Investitionen in Marketing nicht gehen. Viele Betriebe sind in den Social Media noch schlecht aufgestellt oder setzen überhaupt keine Aktivitäten. Dabei gehören diese Kanäle heute zu einem guten Mix, genauso wie – immer noch – Print und nicht zuletzt Radio.
Wie viel Rendite muss ich erwirtschaften, um als Betrieb gesund zu gelten?
Situm: Je höher, desto besser. Ich würde als Daumenregel sagen, alles unter 6 bis 8 Prozent ist schon besorgniserregend, wobei natürlich auch die Höhe des Umsatzes eine Rolle spielt. Dazu kommt die Frage der Unternehmensform. Bei Personengesellschaften ist vom Jahresüberschuss noch ein Unternehmerlohn wegzurechnen. All das berücksichtigen die Banken in den Ratings, genauso wie „softe“ Faktoren.
Was empfehlen Sie im Umgang mit Banken?
Situm: Die Finanzierungssicherung ist enorm wichtig, viele Unternehmen sind stark fremdfinanziert. Das heißt, der Kontakt mit der Bank und das Verstehen des Ratings sind entscheidend. Viele Unternehmer reden gern über die Zinsen, aber ungern über das Rating. Ich kann nur raten, sich diesbezüglich zu sensibilisieren. Im Rating werden auch „Soft Facts“ bewertet, also Dinge wie Erfahrung oder Kundenstruktur. Der Betrieb braucht das Vertrauen der Bank, also kommunizieren Sie, informieren Sie!
Wie kann ich eine Strategie entwickeln, um mein Unternehmen ertragreicher zu machen?
Situm: Wir haben bezüglich Strategie eine Untersuchung gemacht, deren Ergebnis uns erschreckt hat. Nicht nur das Bewusstsein fehlt oft, viele können nicht einmal sagen, was Strategie überhaupt ist. Das hat man höchstens ein bisschen im Hinterkopf. Aber es wäre entscheidend, die Strategie auch niederzuschreiben und weiterzuentwickeln. Das interessiert die Bank, aber auch die Mitarbeiter, die heutzutage wissen wollen: Wo wollen wir hin? Mission? Vision? Wollen wir wachsen, wollen wir uns reduzieren? Ich rate: Nehmen Sie sich dafür Zeit, Unter-nehmen ohne Strategie sind krisenanfälliger. Gerade hier sind externe Berater oft ihr Geld wert.
Gibt es eine „goldene Regel“ für die Betriebsführung?
Situm: Die Kunst, den Betrieb wirtschaftlich zu führen, liegt darin, dass alles miteinander verwoben ist. Wenn zwei, drei Dinge im Betrieb nicht gut laufen, wird’s schon schwierig, und als Unternehmer ist man für das Gesamte verantwortlich. Machen Sie sich klar, was die fünf bis sechs wichtigsten Kernaktivitäten sind! Dann wissen Sie, wo Sie gut sein müssen, damit unter dem Strich eine gute Marge herauskommt.