KLART€XT:Was sind die größten Herausforderungen für das Markenautohaus?
Markus Wildeis: In den vergangenen 48 Monaten hat sich ein Umfeld gebildet, das man über die vergangenen Jahrzehnte nicht gekannt hat: Die Covid-Krise, die Inflation, der Konjunkturabschwung – und parallel dazu die Transformation zur Elektromobilität. Das alles verlief nicht linear, sondern vor und zurück. In den Autohäusern wurde der Wettbewerb wieder stärker, weil es sehr rasch ein Umschalten von der Lieferkrise auf Lieferfähigkeit mit zugleich zögernder Kundennachfrage gab, also einen höheren Wettbewerb in einem kleineren Markt. Die Restwerte stabilisieren sich wieder, aber nicht auf dem Niveau von vor einigen Jahren. Dazu ist noch die Zinsbelastung gestiegen – alles in allem also ein sehr herausforderndes Umfeld. Der Schlüssel für den Erfolg bleibt Aftersales: Kundenloyalität und Kundenbestand sind das Kapital. Doch die Gefahr ist, dass der Fahrzeugbestand rasant älter wird, wir sind im Markt schon bei einem durchschnittlichen Fahrzeugalter von mehr als 10 Jahren. Mit zunehmendem Fahrzeugalter nimmt die Kundenloyalität ab. Wenn die Bestandskunden nicht mehr im Wertschöpfungskreislauf gehalten werden können, ist das gesamte Ökosystem des Autohauses in Gefahr.
Wie hat sich der Autokauf in den vergangenen Jahren verändert?
Wildeis: Die Komplexität nimmt zu, die Digitalisierung nimmt zu. Dadurch wird die Beratung vor Ort immer wichtiger. Die Kunden kommen zwar sehr gut informiert ins Autohaus, aber es gibt nur noch 1,2 Kundenkontakte pro Kaufvertrag, früher waren es 3. Das bedeutet: Es geht ums Vertrauen! Wenn Kunden in vielen Fällen bereit sind, auf die Elektromobilität umzusteigen, muss die Beratung technologieoffen und qualitativ top sein. Der Verkäufer muss auch bei den neuen Mobilitätsformen am Punkt sein. Aber wenn die Beratung nicht funktioniert, wird der Kunde rasch zu einem reinen E-Auto-Anbieter wechseln. Dann ist dieser Kunde für das Autohaus und für die Marke verloren. Man kann einen E-Auto-Gegner nicht missionieren: Wir werden weiterhin eine Mehrgleisigkeit der Antriebsformen haben, wobei wir bei Stellantis einen Wettbewerbsvorteil durch die Multi-Energy-Plattformen haben. Egal ob die Transformation 36, 48 oder 60 Monate dauert: Wir haben immer wettbewerbsfähige Angebote für alle Kunden.
Welche Synergien ermöglicht ein Mehrmarken-Vertrieb für das Autohaus?
Wildeis: Ein Mehrmarken-Autohaus, egal welcher Hersteller, hat grundsätzlich keine Synergien: Denn die Kosten duplizieren sich, die Erträge aber nicht. Der Fokus auf die Kernmarke geht abhanden. Das ist eine Falle, da die Businesspläne im überwiegenden Teil nicht solide sind. Die große Ausnahme ist ein Mehrmarken-Setting innerhalb eines Herstellers wie z.B. Stellantis. Unsere Plattformen, Systeme und Prozesse sind ein absoluter Vorteil für das Autohaus. Auch Ersatzteile, Training etc. bringen aufgrund der Struktur des Konzerns Synergien. Und dennoch sind unsere Marken beim Design und bei der Positionierung voneinander abgegrenzt, es gibt keine Kannibalisierung. Wir haben im Schnitt 2,5 Stellantis-Marken pro Standort, wobei wir natürlich auch die Flexibilität anhand der historischen Gegebenheiten berücksichtigen. Wir zeigen, dass wir partnerschaftlich arbeiten wollen und verkörpern das auch. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und arbeiten konsequent weiter: Das macht uns zu einem starken Partner.
Welche Vorteile bietet das New Retailer Modell für den Stellantis-Partner?
Wildeis: Aktuell ist das Agentursystem ein massiver Vorteil für die Retailpartner, auch wenn die Umstellung riesengroß ist und man diese unterschätzen kann. Alle Prozesse und Gewohnheiten wurden massiv verändert, doch das Grundelement hat sich nicht verändert: Ein Kunde kauft eines oder mehrere Fahrzeuge bei einem Retailpartner. In der aktuellen Situation mit den hohen Zinsen, den extrem schwankenden Restwerten und dem hohen Wettbewerb gibt es für unsere Retailpartner eine stabile Margenplanung, da auch die Lager- und Vorführfahrzeuge dem Hersteller gehören. Doch wir sind noch nicht bei 100 Prozent Leistung im Retail und werden außerdem Prozesse und Logistik weiter verbessern.
Welche Rolle spielt der Nutzfahrzeug-Bereich für Stellantis bzw. die Stellantis-Partner?
Wildeis: Wir haben die Marktführerschaft bei den Nutzfahrzeugen wieder zurückerobert: Mit über 30 Prozent Marktanteil ist Stellantis hier auf Kurs. Für das Autohaus spielt dieser Bereich eine Schlüsselrolle: Nutzfahrzeuge fahren immer, sie sind der Motor des Geschäfts, 12 Monate im Jahr. Sie geben dem Autohaus eine stabile Wertschöpfungskette und sind der Türöffner für das Firmenkundengeschäft, wo wir im Pkw-Bereich mit der kompletten Modellpalette, kombiniert mit den Multi-Energy-Plattformen besonders für Fuhrparks massive Vorteile bieten können, auch mit Vorsteuerabzug.
Wie kann Stellantis seine Partner in der aktuellen Situation unterstützen?
Wildeis: Es gibt drei Dinge: Erstens haben wir die stärkste Modellpalette – vom Kleinstwagen bis zum Kombi, vom SUV bis zum Nutzfahrzeug, die als Verbrenner, Mild-Hybrid, Plug-in-Hybrid oder als reines Elektroauto verfügbar sind. Zweitens bieten sich viele Synergien innerhalb von Stellantis, und drittens überwiegen die Vorteile im New Retailer Modell ganz klar. Man muss einen positiven Blick nach vorn haben, dann kann man sich auch in einem schwierigen Umfeld weiterentwickeln. Nur wenn man die Transformation im Retail aktiv mitgestaltet, wird man mittel- bis langfristig profitieren.