Im Jahr 2002 hat der damalige Wettbewerbs-Kommissar Mario Monti ein klares Bekenntnis für mehr Wettbewerb in der Kfz-Branche abgelegt. Zur Sicherung der Unabhängigkeit der Markenhändler gegenüber dem Oligopol ihrer Lieferanten rief er die Schutzbestimmungen der Kfz-GVO 1400/2002 ins Leben: Nur durch die Unabhängigkeit der Autohändler sei der freie Wettbewerb sicher gestellt.

Empörte Hersteller

Ganz offen haben die von Montiüberraschten Konzernchefs davon gesprochen, dass es sich bei dieser GVO um eine Missgeburt des Italieners handle. Er habe seine Befugnisse überschritten und gehöre zurückgepfiffen. Gebetsmühlenartig wurde seither wiederholt, dass eine EU-Verordnung nicht dazu da sei, in das zivile Vertragsrechteinzugreifen. Monti dürfe nur den Wettbewerb, nicht aber die Händlerverträge regeln. Das falle in die ausschließliche Kompetenz nationaler Parlamente. Deshalb könnten derartige EU-Vorschriften keine bindende Wirksamkeit entfalten.

Ganze Fachbücher wurden von den Juristen der Hersteller mit derartigen Argumenten gefüllt. Die Tatsache, dass es sich dabei in erster Linie um Vorschriften zum Schutz des Wettbewerbs handelt, wurde bei all diesen Abhandlungen und Diskussionen geflissentlich verschwiegen.

Rückschritt unter neuer Kommissarin

Steter Tropfen höhlt den Stein. Monti, der Stein des Anstoßes, wurde 2004 nach Italien zurückgeschickt. Ihm folgte Neelie Kroes, eine holländische Politikerin der liberalen Volkspartei VVD. Sie saß in mehreren Aufsichtsräten namhafter Unternehmen und hat für deren Anliegen ein tiefes Verständnis -vor allem,wenn es darum geht, die Entscheidungsfreiheit der Konzernherren sicher zu stellen: etwa bei der Auswahl der Vertragspartner, bei der Dauer der Händlerverträge oder bei der Strukturierung des Vertriebsnetzes.

Kroes beschloss gegen alle Warnungen zahlreicher EU-Parlamentarier, die Kfz-GVO wieder zu eliminieren. Mit ihr verschwinden die Bestimmungenüber die Mindestlaufzeit von Händlerverträgen, über Mindest-Kündigungsfristen, über das Verbot einer von den Herstellern vorgeschriebenen Markenexklusivität oder über die von Monti erst 2005 eingeführte Niederlassungsfreiheit. Vorschriften zum Schutz des Wettbewerbs, welche die neue Wettbewerbshüterin im Interesse der Hersteller als nicht erforderlich erachtet.

Herstellerschutz statt Händlerschutz

Kroes vertrat die Auffassung, dass der Umweltschutz Vorrang vor wettbewerbsrechtlichen Erwägungen haben müsse: Kommende Umweltschutzbestimmungen würden die Hersteller finanziell derart belasten, dass ihnen Einschränkungen im Wettbewerb nicht weiter zumutbar seien. Kroes" geplante Herstellerschutzregelung wurde als rechtlich erforderliche Bereinigung des Kartellrechts von zivilrechtlichen Vorschriften, die ausschließlich dem Händlerschutz dienen, propagiert. Dass diese Bestimmungen in erster Linie dem Schutz des Wettbewerbs dienen, wurde von der Wettbewerbshüterin bei der Ankündigung des ersatzlosen Endes der Kfz-GVO per 31. Mai 2013 schamhaft verschwiegen.

Sonderweg inÖsterreich

Wie sehr sich diese Juristen-Dialektik in den Köpfen festgefressen hat, ist auch an Österreichs Kfz-Mittelstandsinitiative erkennbar. Sie führt auf nationaler Ebene einen kleinen Teil jener Vorschriften wieder ein, die Kroes auf EU-Ebene eliminiert. Eine Initiative, die nunmehr lapidar als "Kraftfahrzeugsektor-Schutzgesetz" im Parlament behandelt wird -ohne zu erwähnen, dass es sich dabei im Grunde um Wettbewerbsbestimmungen handelt. (KNÖ)