Mehr als 5 Millionen Mitarbeiter, 600 Milliarden Euro Jahresumsatz und 15 Milliarden Euro Forschungs-und Entwicklungsinvestitionen: Die europäische Teile- und Zulieferbranche ist ein mächtiger Industriezweig. Rund 250 Spitzenvertreter trafen einander Ende November in Brüssel, um die Herausforderungen der kommenden Jahre zu diskutieren. Prominenter Gastgeber war dabei Jean-Marc Gales: Der ehemalige Mitteleuropa-Chef von General Motors,der danach als weltweiter Mercedes-Verkaufsdirektor und als Markenvorstand von PSA fungierte, steht seit April an der Spitze der Branchenvereinigung CLEPA.

Europa unter Zugzwang

Die europaweit schwachen Neuwagenverkäufe, ist Gales überzeugt, würden noch jahrelang anhalten. Signifikante Zuwächse über das Vorkrisenniveau hinaus seien gar nicht mehr zu erwarten: "In Europa gibt es über 500 Autos pro 1.000 Einwohnern, in China sind es 30 und in Indien 9. Das zeigt, wo die großen Wachstumsmärkte liegen." Auch der europäische Ersatzteilmarkt werde kaum mehr wachsen, sei doch das durchschnittliche Fahrzeugalter mit 8,1 Jahren deutlich niedriger als beispielsweise in den USA. Dort wird ein typischer Pkw 10 Jahre lang verwendet .Angesichts dessen erhebt Gales die Forderung nach mehr Forschungs-und Entwicklungsunterstützung sowie einer "klugen Gesetzgebung": Freihandelsverträge, die asiatischen Wettbewerbern in Europa mehr Rechte einräumen als europäischen Firmen in Asien, müssten beispielsweise vermieden werden. Aber auch im Bildungssystem sieht Gales Lücken: "In der EU schließen jährlich 140.000 Ingenieure ihre Ausbildung ab, in Indien sind es 700.000 und in China 1 Million."

Starke Marktführer

Laut Dr. Ralf Heck, Director beim Beratungsinstitut McKinsey, haben die europäischen Zulieferer aber dennoch gute Chancen: "Schon in den Achtzigerjahren gab es düstere Szenarien aufgrund der damals vorwiegend japanischen Konkurrenz, doch in Wahrheit sind die europäischen Unternehmen heute so stark wie nie zuvor." Die führenden Zulieferer hätten zwischen 2001 und 2011 ihre Margen um durchschnittlich 5,1 Prozent verbessert -ein Wert, von dem sowohl die Autobauer als auch die meisten Konkurrenten aus anderen Erdteilen nur träumen können. Außerhalb von Europa sieht Heck nach wie vor attraktive Wachstumsmöglichkeiten für die Zulieferbranche: "Bis 2030 wird es weltweit 3 Milliarden neue Konsumenten aus der Mittelschicht geben."

Neue Struktur, neue Wettbewerber

Der Einfluss des Internets macht vor der Teilebranche nicht halt. Das beweisen Erfolgsgeschichten wie jene des russischen Unternehmers Vladislav Domoratski, der 1997 mit einem einzigen Mitarbeiter den Online-Autoteilehändler Exist gegründet hat. Heute erwirtschaftet er über 430 Millionen Euro Jahresumsatz und betreibt auch hunderte "klassische" Verkaufshäuser Auf Dauer, waren viele Konferenzteilnehmer überzeugt, geht der Trend jedoch eher weg vom vertikalen Teilevertriebskonzept über Großhandel, Einzelhandel und Werkstätte. "Das Internet macht aus der Wertschöpfungskette ein Wertschöpfungsnetz", meinte beispielsweise Frank Schlehhuber, Senior Vice President für den Automotive Aftermarket bei Bosch. Noch eine Entwicklung ist unübersehbar: Die Autohersteller wollen sich selbst ein Stück vom Independent Aftermarket abschneiden. Führend dabei ist der PSA-Konzern. Wie Service-und Teilechef Gilles Boussac ausführte, hat man mit Eurorepar und Motaquip nicht nur zwei Produktlinien für ältere Fahrzeuge im Programm. Unter beiden Marken werden sukzessive auch "freie" Werkstätten in immer mehr europäischen Ländern eröffnet.